Hexenverfolgung in der Grafschaft Büdingen 

Siehe dazu die Sonderausstellung "Hexenwahn & Teufelsglaube"

Constitutio Criminalis Carolina von 1532
Die „Peinliche Halsgerichtsordnung“ Kaiser Karls V. war das erste allgemeine deutsche Strafgesetzbuch.
Beim Inquisitionsprozess war der Richter zugleich Ankläger, den Beweis muss das Gericht führen.
Es durften nur Haupttatsachen, keine Indizien zur Verurteilung führen. Bei Zeugenaussagen wurden zwei übereinstimmende Aussagen von Tatzeugen gefordert. Fehlten diese, musste der Angeklagte zu einem Geständnis gebracht werden.
Die Folter durfte nur angewandt werden, wenn große Sicherheit bezüglich der Schuld bestand. Bevor mit der Folter begonnen werden durfte, war ein gerichtliches Verhör durchzuführen. Das unter der Folter abgelegte Geständnis durfte nur verwendet werden, wenn der Angeklagte es anderntags bestätigte.
Folter diente zur Erpressung von Geständnissen. Dabei wurde oft ein standardisierter Fragebogen „abgearbeitet“.
Gestanden die Angeklagten während der Tortur nicht, galt das als Zeichen, dass der Teufel in ihnen wohnte. Sie wurden dann weiter gefoltert, bis sie geständig waren. Manche Angeklagten überlebten die Tortur nicht.
Widerriefen die Angeklagten ihr Geständnis, wurden sie weiter gefoltert, bis sie ihre Aussagen wiederholten.

Hunger, Seuchen, Krieg
Die Kleine Eiszeit von Anfang des 15. Jahrhunderts bis etwa 1850 bescherte auch Europa ein relativ kühles Klima mit sehr kalten, lang andauernden Wintern und niederschlagsreichen, kühlen Sommern. Das Getreide verfaulte auf den Feldern. Lebensmittel wurden teuer, es kam zu Hungersnöten und Seuchen.
Man suchte nach Sündenböcken und fand sie in Juden, Täufern und Hexen.
Der Dreißigjährige Krieg von 1618 bis 1648 war der Krieg um die Vorherrschaft im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und in Europa und zugleich ein Religionskrieg.
„Der Krieg ernährt den Krieg“. Die Heere trieben bei ihren Feldzügen Abgaben wie Geld, Nahrungsmittel und Futter für ihre Tiere ein. Je länger der Krieg dauerte, desto mehr kam es zu Plünderungen, Raub und Mord.
Dem Krieg folgten der Hunger und die Seuchen. Häuser und Äcker wurden zerstört, Vieh gestohlen oder getötet. Die zum Heer eingezogenen Männer fehlten in der Landwirtschaft, im Handwerk und Handel. Mit den durchmarschierenden Soldaten kamen Typhus, Grippe, Ruhr und Beulenpest.
Die Menschen verrohten.
- Erschlagene, gefolterte, vergewaltigte Bürger.
- Verwüstete Städte und Dörfer, zerstörte Äcker.
- Hungersnöte, Seuchen.
Wer dann noch lebte, lebte oft nicht mehr lange. Man ernährte sich von Rinde, Eicheln, Kleie, Ratten, Katzen, Hunden und tot aufgefundenen Pferden.

Glaube & Aberglaube
Der Glaube an Hexen, Zauberer und den Teufel entstand aus einer Vermischung von heidnischen und christlichen Glaubensvorstellungen. Angestachelt wurde er von den Predigten der Pfarrer und den Nachrichten über immer neue Prozesse und Hinrichtungen.
Hexenflug ist die Vorstellung, „Hexen“ könnten auf Besen, Stühlen oder Tieren fliegen. Dafür rieben sie die Gegenstände mit Salben ein, die sie aus ungetauften Kindern herstellten.
Hexensabbat: Treffen von Hexen und Hexern mit dem Teufel auf dem Hexentanzplatz, einem geheimen, abgelegenen Ort.
Teufelspakt ist ein Handel zwischen dem Teufel und einem Menschen. Der Mensch verspricht dem Teufel seine Seele und erhält dafür Reichtum, Macht, magische Kräfte oder Ähnliches.
Teufelsbuhlschaft bedeutet „Eheschließung“ und sexuelle Beziehung mit dem Teufel. Der Teufel konnte die Rolle eines Mannes oder einer Frau einnehmen.
Schadenzauber
sind auf Anweisung und mit Hilfe des Teufels verursachte Schäden wie Unwetter, Missernten, Krankheit und Tod von Tieren und Menschen.

Wie man eine „Hexe“ erkennt
Wasserprobe
Da Hexen im Wasser angeblich nicht untergingen, unterzog man manche Angeklagte der Wasserprobe. Sie wurde entkleidet, dann wurde ihr die rechte Hand an den linken Fuß und die linke Hand an den rechten Fuß gebunden. Daraufhin wurde sie an einem Seil dreimal in einen Fluss oder Teich getaucht. Durch die Art der Schnürung gingen viele Frauen nicht unter und galten als Hexen.
Feuerprobe
Der oder die Angeklagte musste barfuß über sechs oder zwölf rotglühende Pflugscharen gehen, ein glühendes Eisen über eine Distanz von neun Fuß oder mehr tragen oder seine Hand in ein Feuer strecken. Wer dabei unverletzt blieb, oder wenn seine Verletzung in kurzer Zeit verheilte oder nicht eiterte, galt als unschuldig.
Wiegeprobe, auch Hexenwaage
Da man glaubte, dass Hexen fliegen könnten und nicht im Wasser untergingen, mussten sie leichter als normale Menschen sein. Die als Hexe bezichtigte Frau wurde auf einer Waage gegen ein vorher festgelegtes Gewicht gewogen. Wenn sie weniger wog, kam es zur Anklage. Wog sie mehr, beschuldigte man sie, die Waage verhext zu haben.
Tränenprobe
Da Hexen angeblich selbst unter größtem Schmerz nicht weinen konnten, wurde Tränenlosigkeit als Indiz für den Teufelsbund gewertet. Doch auch wenn sie weinten, waren sie nicht unschuldig.
Hexenmal
Das Hexenmal galt als ein Zeichen, das der Teufel beim Teufelspakt den Hexen oder Hexern auf die Haut gedrückt hatte. Solche Hexenmale konnten Narben, Muttermale (Leberflecken), Feuermale oder andere Hautveränderungen sein. Da fast jeder Mensch eine solche Stelle hat, konnte man bei fast allen Angeklagten einen solchen Beweis finden.
Nadelprobe
Nachdem ein Hexenmal gefunden worden war, stieß man eine Nadel hinein. Floss kein Blut (was bei manchen Hautveränderungen durchaus üblich ist), galt dies als Beweis, dass der Teufel hier sein Zeichen aufgedrückt hatte.

Die Rolle der Kirchen
Bibeltexte verurteilen die Hexerei („die Zauberer sollst du nicht leben lassen“, 2. Mose 22,17). Das Neue Testament kennt den Glauben an „böse Geister“ (Markus 5, 1–20) und „Zauberer“ (Apg 13,4–12).
Bis ins 13. Jahrhundert war es offizielle kirchliche Auslegung, dass der Glaube an Zauberei eine heidnische Irrlehre und Einbildung sei und mit Kirchenstrafen belegt werden sollte.
Außer in der Hexenbulle von 1484 (siehe Heinrich Kramer) wurde der Hexenglaube in keiner weiteren päpstlichen Bulle vertreten.
Falsch ist die weit verbreitete Vorstellung, dass „die Inquisition“ für die Durchführung der Hexenprozesse verantwortlich gewesen sei. Die Prozesse wurden von weltlichen Herrschern durchgeführt.
Bibelübersetzungen hatten Einfluss: In katholischen Gebieten („die Zauberer sollst du nicht leben lassen“) kam es häufiger zur Verurteilung von Männern als in protestantischen Gebieten (Lutherbibel: „Eine Hexe sollst du nicht am Leben lassen“).
Von der Bekämpfung von Juden und „Ketzern“ war es kein weiter Schritt, die „Hexen und Zauberer“ in ihrer Gefährlichkeit gleichzusetzen.
Prediger waren für die Verbreitung des Hexenwahns vor Ort zuständig. Sie machten Hexen und Zauberer für Missernten, Krankheiten, Viehsterben, Feuer und Unwetter verantwortlich. Die ständige Wiederholung verbreitete den Aberglauben in der Bevölkerung.
Kirchenrüger dienten in Zeiten der Hexenverfolgung zur Bespitzelung der Bevölkerung.
An theologischen und juristischen Fakultäten wurde die Hexenverfolgung gelehrt und gefördert.
Thomas von Aquin (1225 - 1274) ersann einen straff organisierten „Dämonenstaat“ mit vielen irregeführten menschlichen Anhängern. Der Teufelspakt erfolgte durch den Geschlechtsverkehr zwischen Mensch und Dämon (Thomas von Aquin sah Sex aus Lust generell als unnatürlich an).
Heinrich Kramer (1430 - 1505), Dominikanermönch. Sein „Hexenhammer“ (1486) diente zur Legitimation seiner Hexenverfolgung. Kramer sammelte dafür weit verbreitete Vorurteile über das Wesen von Hexen und Zauberern Er forderte die systematische Verfolgung und Vernichtung der vermeintlichen Hexen.
Martin Luther (1483 - 1546) forderte Exkommunikation und Todesstrafe für die verdächtigten Frauen.
Johannes Calvin (1509-1564) rief auf, Hexen aufzuspüren und gnadenlos auszurotten. Er forderte, diejenigen, die die Verbrennung der Hexen ablehnten, aus der Gesellschaft zu verbannen.

Die Rolle der Grafen
Kleine und mittlere Gebiete waren anfälliger für Hexenverfolgungen als große Territorien. Sie hatten oft schlecht ausgebildete Richter, die nur ihrem Landesherren gegenüber Rechenschaft schuldig waren. Auch fühlten sich die Verantwortlichen selbst von der angeblichen Hexerei in ihrer Umgebung betroffen.
Die Grafen hätten die Hexenverfolgung stoppen können. Sie hätten dazu ihrem Verwaltungsapparat entsprechende Anweisungen erteilen müssen. Sie schritten jedoch weder gegen die Denunziationen der von den Pfarrern aufgestachelten Bevölkerung noch gegen ihre Amtmänner ein.
In der Grafschaft Büdingen war der Hexenwahn besonders stark, gerade im Verhältnis der Zahl der Opfer zur Bevölkerungszahl. Ein Beispiel: 1634 lebten in Büdingen 495 Erwachsene und 495 Kinder. Nach den Protokollen von 1633/34 wurden insgesamt 27 Pferde, 275 Kühe, 180 Schweine sowie 37 Stück Kleinvieh und Sonstiges durch Zauberei vernichtet. Hinzu sollten 139 Kinder und 15 Erwachsene durch die Zauberei umgebracht worden sein. Demnach wären 28% aller Kinder durch Zauberei umgebracht worden!
Die „Präsenz“ ist eine kirchliche Stiftung aus katholischer Zeit, in Büdingen erstmalig 1536 erwähnt. Sie wurde bei der Reformation in gräfliche Verwaltung übernommen. Um den furchtbaren Feuertod zu verhindern, versuchten die Familien der Angeklagten, die Hinrichtung durch Enthaupten zu erreichen. Für diese „Gnade“ bot man nicht unbeträchtliche Geldsummen oder Grundstücke. Diese Stiftungen flossen in die „Neue Präsenz“ von 1601. Oft fiel nach und nach der gesamte Familienbesitz an die Präsenz. Mit diesen Geldern wurden u. a. die Remigiuskirche umgebaut und der Kirchturm und das Pfarrhaus in der Schlossgasse repariert.
Anton Praetorius (1560 - 1613) war fürstlicher Hofprediger von Ysenburg-Birstein. 1597 wurde er Mitglied des Hexengerichts gegen vier Frauen aus Rinderbügen. Dies ist der einzige bekannte Fall, dass ein Geistlicher während eines Hexenprozesses die Beendigung der unmenschlichen Folter verlangte und Erfolg hatte. Durch seinen Einsatz für die Frauen verlor Praetorius sein Amt als Hofprediger und wurde 1598 Pfarrer im Odenwald. Dort begann er seinen literarischen Kampf gegen den Hexenwahn.

Hexenjäger Johann Joachim Hartlieb
Der Büdinger Oberamtmann Johann Joachim Hartlieb war der schlimmste „Schreibtischtäter“ der Büdinger Hexenprozesse.
Ein wesentliches Werkzeug war die Kirchenordnung von 1628, die von den Grafen Wolfgang Heinrich und Philipp Ernst erlassen worden war. Protokolle zeigen, dass nach der Verlesung der Kirchenordnung jeweils die umfangreichsten Hexenverfolgungen in Büdingen einsetzten.
Die Protokolle der Prozesse sind nicht sehr ergiebig, weil sie monoton immer die gleichen Fragen behandeln. Es gab einen Einheitsfragebogen, der abgefragt und zu Protokoll gebracht wurde.
Teufelsbuhlschaft, Abfall von Gott, Teufelstaufe und Hexensabbat waren die wesentlichen Anklagepunkte, wozu noch die Anzahl der verdorbenen Früchte, der verzauberten Menschen und Tiere kam.
Hartlieb war fest überzeugt, dass der Teufel leibhaftig auf Erden umherstreife und suche, wen er verschlingen könne, die schwachen Frauen verfielen ihm nur zu schnell, und um den Glauben und die Kinder nicht zu gefährden, müssten diese Frauen ohne jedes Mitleid in Gottes Namen vernichtet werden.
Nach der Beseitigung des „Hexengeschmeißes“ würden alle Not und Elend des Dreißigjährigen Krieges auf ein Fingerzeig Gottes hin verschwinden und auf Erden entstünde ein Paradies, in dem Milch und Honig fließe und alle Krankheiten ein Ende hätten.
Hartlieb hatte ein übergroßes Sendungsbewusstsein und schreckte darum vor nichts zurück. Die Billigung seiner Maßnahmen durch den Grafen Wilhelm Otto und die Unterstützung durch die Bevölkerung stärkten ihn in seiner Position. Er lebte vollkommen in dem Wahn, eine gottgefällige Tat zu vollbringen.

Die Rolle der Bevölkerung
Denunziationen erfolgten auch aufgrund von Neid, Eifersucht, Nachbarschaftsstreitigkeiten oder einem Streit ums Erbe.
Heiler und Heilerinnen wurden von Ärzten der Hexerei beschuldigt, um Konkurrenz auszuschalten.
Rache nahmen einige der gepeinigten „Hexen“: Die Frauen der an Prozessen beteiligten Männer wurden häufig als „Mithexen“ benannt.
Kritiker der Verfolgung wurden als Zauberer und Hexen diffamiert.
Die Bevölkerung übte mit ständigen Forderungen nach Prozessen Druck auf ihre Obrigkeit aus. Bürgermeister und Rat der Stadt Büdingen schickten allein von 1651 bis 1654 insgesamt 21 Bittschriften an den Grafen. Auch aus den Dörfern kamen zahlreiche Forderungen nach immer neuen Verfolgungen. In solchen Bittschriften nannten sie auch Verdächtige, die sofort verurteilt werden sollten. Sie stellten Nachforschungen nach entflohenen Frauen an oder forderten, eine andere Universität zu suchen, damit ihnen nicht passende Gutachten durch andere ersetzt werden könnten.

In der Grafschaft Büdingen wurden 455 Frauen und 54 Männer wegen Zauberei angeklagt.

Quelle: Dr. Walter Nieß: „Hexenprozesse in der Grafschaft Büdingen“ und „Büdingens keltische Wurzeln und Der Junkernhof - Brutstätte des Hexenwahns“, Geschichtswerkstatt Büdingen

 

Literatur zur Hexenverfolgung

Büdinger Geschichtsblätter Band 3/4, 1959/61
Rudolf Kiessling, Die Hexenprozesse im Amt Bingenheim, S. 129-135

Büdinger Geschichtsblätter Band 23, 2015
Julia Pfeffer
Vom gescheiterten Denkmal zur Ausstellungsoffensive, S. 127-206

Büdinger Geschichtsblätter Band 24, 2016
Angelina Großmann
Vom Nutzen eines Hexendenkmals für Büdingen, S. 101-131

Büdinger Geschichtsblätter Band 25, 2018
Stefan Xenakis
Der Beginn der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung in der Grafschaft Büdingen (1558-1564), S. 105-247

Hexenprozesse in der Grafschaft Büdingen
Walter Nieß
Geschichtswerkstatt Büdingen 2018

Büdingens keltische Wurzeln / Der Junkernhof
Walter Nieß
Geschichtswerkstatt Büdingen 2007

Antonius Praetorius - Vom Kirchenreformator zum Kämpfer gegen Folter und Hexenprozesse in der Wetterau
Hartmut Hegeler
Geschichtswerkstatt Büdingen 2006

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